Sie war nie als ein Ort der Versöhnung geplant. Weder bei ihrem Bau noch bei ihrer Nutzung, noch bei ihrem geplanten Wiederaufbau. Auch die künftige Nutzung des an der Breiten Straße in Potsdam im Entstehen begriffenen Bauwerks hat wenig mit Versöhnung zu tun. Es ging und geht immer nur um Macht. Woran sich auch in Zukunft nichts ändern wird.

Friedrich Wilhelm I. und seine Kirche
Als Friedrich Wilhelm I. den Bau von drei neuen Kirchen in Potsdam befahl, wollte er damit in erster Linie Macht demonstrieren. Eine Verschönerung seiner Residenzstadt hatte der Kurfürst Brandenburgs und König in Preußen nicht im Sinn.
Und so fällt auch das Urteil Georg Hermanns 1929 über das Bauwerk Garnisonkirche aus.
Und da weiter links drüben mit dem goldenen Ordensstern über sich in der Luft, und dem Adler, der auf der gekreuzten Eisenstange sitzt, wie der Papagei auf der Sprosse, dieser in vier Etagen hochgehende, von hier (Standort Lange Brücke, V. P.) scheinbar sich drehende Barockturm … das ist die „Garnisonkirche“.
Man kann sagen, daß dieser Barockturm eigentlich die Kirche selbst ist, denn er sitzt an dem kleinen Bau, wie ein Giraffenhals an dem viel zu kleinen Körper.1
Weiter führt er aus, die Nikolaikirche – „den Deutschen Dom“ – auslassend:
… An Kirchen hat Potsdam eigentlich nur zwei, die Charakter haben. Beide so aus den Jahren um 1730. Hier die Garnisonkirche von Gerlach – und weit drüben die Heiligengeistkirche von Grahl. Von beiden hat man eigentlich nur die Erinnerung, wenn man an sie denkt, sie wären Türme, Körper, ohne Schiff. Aber diese Türme sind markig und wuchtig und schwer. Und bei beiden hat man das Gefühl, daß sie eigentlich mit ihren Absätzen sich irgendwie in die Luft emporschrauben. Und in Wahrheit sind sie aus gewaltigen und, wie Kinder bauen, sich leicht verkleinernden, stark profilierenden Klötzen übereinandergelegt, bis sie oben die Laterne und das Käppchen, die Kuppel, den Helm tragen können. Aber auch der Soldatenkönig sagte: Erst der Staat, erst das Heer und dann die Kirche.2
Hermann empfindet das Bauwerk als Bruch in der für ihn ansonsten schönen architektonischen Gestaltung Potsdams.
Schade, daß Friedrich (gemeint ist Friedrich II., V. P.) außer dem kleinen Rondell der Französischen Kirche, die eine Eloge an seine Emigranten war, die seinen Potsdamern Seidenbau und andere schöne Künste lehren sollten, keine Kirche in Potsdam gebaut hat, außer dem Vorbau der Nikolaikirche, der wieder verschwunden ist.3
In dieser Hinsicht stimmt er mit dem Berliner Magistratsbaumeister Peter Heinrich Millenet (1748 bis 1788) überein, der sich bereits 1776 sehr kritisch über die „Kirchenbaukunst“ von Friedrich Wilhelm I. äußerte.
Die Anzahl der Kirchen in diesen beyden Städten ist zwar ziemlich groß, allein wenige davon könnten wohl als Muster angewiesen werden. Der größte Theil davon, welcher unter der Regierung des Königs Friedrich Wilhelm erbauet worden, ist in keinem großen Geschmack…4
Im Folgenden betrachtet er einige Kirchenbauten genauer, vollständig unter Friedrich II. errichtet und fasst abschließend zusammen:
Bey den übrigen Kirchen trifft man hin und wieder schätzbare Partheien an, auch sind einige mit sehr guten Thürmen versehen, wie die Parochialkirche zu Berlin und andere mehr. Da indessen ihre Bauart, in Absicht des guten Geschmacks, im Ganzen genommen nicht beste ist, so werde ich keine weitere Anzeige davon geben.5
In dem 1839 erschienenen Büchlein „Spaziergang durch Potsdams Umgebungen“ wird vollständig auf die Erwähnung der Hof- und Garnisonkirche verzichtet.6
Otto Zieler verzichtet 1913 in seinem Buch „Potsdam. Ein Stadtbild des 18. Jahrhunderts“ ebenfalls auf eine genauere Betrachtung des äußeren Erscheinungsbildes der Hof- und Garnisonkirche und auch auf deren Zusammenhang mit dem Erscheinungsbild Potsdams. Dabei lautet der Untertitel seines Band 1 „Stadtarchitektur„.
Was aus der Beschreibung Zielers der Breiten Straße hervorgeht, ist, dass die Hof- und Garnisonkirche im Zusammenhang mit dem damaligen Erscheinungsbild der Breiten Straße, mit dem der an die Kirche angrenzenden Plantage sowie den auf sie führenden Sichtachsen gesehen werden muss. Ohne diese bleibt das zurück, was Millenet und Hermann kritisierten: ein nicht in das Stadtbild passender Baukörper.
Weshalb auch die von der Kirche oder mit ihr gefertigten Gemälde, Zeichnungen und Fotografien immer darauf achten, den damaligen (heute nicht mehr vorhandenen) Zusammenhang widerzuspiegeln. Darauf spielt Otto Zieler an, wenn er die Bautätigkeit Friedrich II. mit der seines Vaters vergleicht.
An die Stelle der sachlichen, zuweilen verstandesmäßigen Bauart trat z. T. eine freiere, mehr malerische, nach stärkeren Wirkungen strebende Auffassung mit all ihren Vorzügen und Fehlern, eine Kunst, die mitunter sich nicht scheut, statt Raumwirkungen Theatereffekte zu geben, in Potsdam so gut wie in anderen landesfürstlichen Anlagen. Am glanzvollsten und reinsten spiegelt sie sich in der von der Tradition früherer Generationen in ihren Hauptpunkten vorbereiteten Anlage des Lustgartens und der anschließenden Breiten Straße. Und dieser vom Durchgangsverkehr noch am wenigsten mitgenommene Straßenzug läßt in seiner Abgeschiedenheit mit dem Glockenspiel der Garnisonkirche noch heute den Geist friederizianischen Lebens am lebhaftesten vor uns erstehen.7
Bei etwas Mühe hätten sich vermutlich noch weitere Meinungsäußerungen finden lassen, wie vorstehend angeführt. Doch die Mühe unterblieb. Zu stark war der Wunsch, beim Wiederaufbau der 1945 zerstörten und 1968 vollständig abgetragenen Hof- und Garnisonkirche nicht an die Gestaltungsideen von Friedrich II. anzuknüpfen, sondern an die – zumindest bei Großbauten – von machtpolitischen Erwägungen getragene „Baukunst“ Friedrich Wilhelms I.
Befürworter und Gegner des Wiederaufbaus
Im Westen Deutschlands war die Erinnerung an das monarchistische und an das von Reichswehr bzw. ab 1933 der Wehrmacht beherrschte Potsdambild prägend, und über die Generationen weitergereicht worden. Die bereits damals in der Stadt vorhandene Normalität sowie die sich hier – vor allem jedoch in Babelsberg – zeigenden sozialen Konflikte wurden ausgespart.
Die Folge war: 1990 traf eine von nostalgischen Erwägungen geführte und über die Macht verfügende gesellschaftliche Gruppe auf eine von anderen Bildern geprägte, mit anderen Erfahrungen aufgewachsene und in anderen Umständen – nicht wie die Protagonisten der ersten Gruppe – lebende sowie von der Teilhabe an der Macht ausgeschaltete Mehrzahl der Bevölkerung.
1990 fand dies auch in den Überlegungen Berücksichtigung, die sich mit der baulichen Gestaltung der Potsdamer Innenstadt befassten. Hauptziel war: Beseitigung der Brüche, die die Zerstörungen von 1945 und die baulichen Versuche zur Schließung der Lücken hinterlassen hatten.
Im Januar 1991 begann ein sich über mehrere Monate hinziehender Wettbewerb mit Architekturbüros aus Deutschland (4), Italien (4) und den Niederlanden (2). Im Zentrum stand die „Vorbereitung städtebaulicher und baulicher Wettbewerbe im zentralen Bereich Potsdams„. Am 30. Mai 1991 lagen die Ergebnisse vor. Darunter auch zum einstigen Standort der Garnisonkirche.
Die Neuplanung der Stadtmitte Potsdams kann nicht das Problem umgehen, wieder genaue hierarchische Beziehungen der Orte der historischen Stadt einzuführen, bei der die Wiedergewinnung des öffentlichen Raums und der symbolisch bedeutenden Gebäude erstrangige Stellung einnimmt.
Diese Notwendigkeit, die wir für jede Stadt als unerläßlich halten, kann sich im Fall von Potsdam auf die historische Dimension des Ortes beziehen, der noch reich an Zeugnissen der Vergangenheit ist und auf den Willen der Bürger, nicht so sehr die Form der zerstörten Stadt wiederzufinden, sondern deren symbolische Gleichwertigkeit.
Schloss, Garnisonkirche, Heilig-Geist-Kirche und der Stadtkanal wurden als prägend für die Innenstadt bezeichnet und der Vorschlag unterbreitet, „Gleichwertigkeiten zu schaffen, die den Bedürfnissen der Stadt Potsdam entsprechen„.
Der Standort der Garnisonkirche sollte mit einem Neubau der Stadt- und Landesbibliothek belegt und die angrenzende Plantage in der historischen Form wiederhergestellt werden. In der Nachbarschaft war, erschlossen über den Eingang des Langen Stalls, das Stadttheater geplant – als Teil des gemeinsam mit der Bibliothek gebildeten „Theaterviertels“.
Die Plantage ist an der Südseite von dem neuen Bibliotheksbau, der an Stelle des jetzigen Baus geplant ist, geschlossen. Ein niedriger Bau, der auf den Platz der Plantage ausblickt, ist für Lesesäle und Büros vorgesehen. An der Stelle der Garnisonkirche, aber insbesondere deren Glockenturms und um die Funktion der Landmarke wiederherzustellen, die diese Kirche im alten Potsdam hatte, soll der Bibliotheksturm, für die Aufbewahrung der Bücher und für kleinere Lesesäle entstehen.
Während sich die Büros noch mit ihren Projektvorschlägen befassten, trat ein konkurrierendes Projekt mit seinen Ergebnissen an die Öffentlichkeit.
Auf Anregung des Vereins ´pro Brandenburg` und des Oberbürgermeisters der brandenburgischen Landeshauptstadt, Dr. Horst Gramlich, hat der Kommunalverband Ruhrgebiet einen Rahmenplan für die Innenstadtentwicklung Potsdams und deren Randbereiche erarbeitet.
Die Pressemitteilung vom 30. April 1991 bezeichnete als Mitwirkende auch „das in Potsdam ansässige Architektenbüro Meissner-Fortmann-Drühe„. Das stimmt nur insofern, dass man in Potsdam Räume hatte. Ansonsten handelte es sich um ein Büro aus Nordrhein-Westfalen. Und hier ging es um die Frage, die Fäden für die Gestaltung der Innenstadt in die Hände zu bekommen. Und natürlich auch die Finanzierung.
Der Stadtgrundriß und die Qualität der Potsdamer Stadträume sollen erhalten und schrittweise wiedergewonnen werden.
Stadtkanal, Alter Markt und Breite Straße (Wilhelm-Külz-Straße) sind die wichtigsten Elemente des Stadtgrundrisses, die wiederhergestellt werden müssen. Dies läßt sich nicht alles in den nächsten Jahren realisieren, aber die Optionen dafür müssen offengehalten werden. Es darf nichts verbaut werden!
Aber: die Stadt ist kein Museum, sondern ein lebendiger Organismus, der sich in der Geschichte weiterentwickelt.
Potsdam muß wie jede Stadt „weitergebaut“ werden in dem Geist und in der Qualität, die ihrer Tradition und dem „genius loci“ entspricht.
Im Fall der verschwundenen historischen Bauwerke wurde Folgendes vorgeschlagen:
Kopien längst verschwundener Gebäude und Platzsituationen sind vielleicht in ganz besonderen Ausnahmefällen eine mögliche Lösung. Das generelle Ziel ist aber, die Qualität des Stadtgrundrisses und der Stadträume mit zeitgemäßer Architektur hoher Qualität und mit den notwendigen Veränderungen und Weiterentwicklungen, die die heutigen Nutzungen und die veränderten Bedingungen erfordern, wiedererstehen zu lassen.
Für den Standort der Garnisonkirche und des Rechenzentrums wurde Wohnbebauung mit „Aufnahme der alten Bauflucht“ vorgeschlagen. Wilhelm-Külz“Allee“ statt Wilhelm-Külz „Magistrale“, lautete das Motto.
Während noch Ideen für eine den Interessen der Stadt und ihrer „normalen Bevölkerung“ entsprechende Neugestaltung der Stadt entwickelt und diskutiert wurden, formierten sich im Hintergrund – noch ganz zurückhaltend auftretend – die Befürworter des Wiederaufbaus der Garnisonkirche. 1991 legte die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e.V. ihr Positionspapier vor. Dankbar veröffentlichten sie darin eine im Oktober 1990 von der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung angenommene „Willenserklärung„.
Der Beschluß der Stadtverordnetenversammlung von 1968, der zur Sprengung der Garnisonkirche führte, war ein Akt kultureller Barbarei. Damit ging der Stadt Potsdam eine architektonische Meisterleistung von europäischem Rang verloren.
Wir, die frei gewählte Stadtverordnetenversammlung, verurteilen diese politisch motivierte Tat, die stellvertretend für eine Vielzahl von Abrissen genannt wird.
Mit Freude und Dank nehmen wir die Initiative der „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e.V.“ zugunsten der Garnisonkirche zur Kenntnis, die dem Bedürfnis, die alte Schönheit der Stadt Potsdam wiederherzustellen, entspricht.
Diese Bemühungen müssen sich in eine städtebauliche Gesamtkonzeption einordnen.
Der mögliche Wiederaufbau der Garnisonkirche wird in einer wirtschaftlich gesicherten Zukunft unserer Stadt seinen Platz finden; er wird nicht die Rettung der zu erhaltenden Originalbauten beeinträchtigen – eher fördern.
- Hermann, Georg: Spaziergang in Potsdam, Berlin 1996, S. 33 [↩]
- Ebenda, S. 72 [↩]
- Ebenda, S. 73 [↩]
- Kritische Anmerkungen den Zustand der Baukunst in Berlin und Potsdam betreffend, Berlin bey Himburg, 1776, S. 35 [↩]
- Ebenda, S. 40 f. [↩]
- Spaziergang durch Potsdams Umgebungen, Berlin und Potsdam, 1839 [↩]
- , Zieler, Otto: Potsdam. Ein Stadtbild des 18. Jahrhunderts. Band 1 Stadtarchitektur, Berlin 1913, S. 20 [↩]