Potsdam-bei Berlin?
Gefahren der Potsdamer Verkehrspolitik. – Verstärktes Werben für Potsdam.
Berlin, der große, unersättliche Stadtstaat, hat seine Saugarme bis unmittelbar an die Grenzsteine Potsdams ausgreifen lassen. Einen Schritt jenseits der Glienicker Brücke, und man steht auf Berliner Boden. Herr Boeß, das Oberhaupt der Reichshauptstadt, hat sich in mehr oder minder bunten Andeutungen ergangen, die eine Begehrlichkeit des “Wasserkopfes” Berlin auf unsere Havelresidenz durchleuchten lassen. Berlin braucht viel Geld, und da ist es nicht verwunderlich, daß der Berliner Stadtsäckel nach jedem großen Steuerzahler schnappen möchte, der sich außerhalb der Viermillionenstadt niederläßt. Wo sich eine Villenkolonie auftut, möchte Berlin gleich dabei sein, und es wäre nicht erstaunlich, wenn ihn
unser Wald-Potsdam
“in die Nase stechen” würde. Machthungrige Magistratsbeamte im “Roten Hause” spielen auf der Landkarte mit dem Zirkel, lassen ihn im Dreißig- oder mehr Kilometer-Radius ausschweifen: “Dies alles sei mir untertänig!” Die “Geschluckten” werden – echt demokratisch – nicht gefragt. Man macht auch gern Versprechungen; denn warum soll man nicht mit der Wurst nach der Speckseite werfen? Erst hinterher geht dann den Beglückten eine Batterie von Talglichtern auf, und man denkt an die Verse von Löns:
Dumpfes Murren herrscht im Vorort,
Weil man es nicht recht begreift:
Ist man nun eingemeindet,
Oder ist man eingeseift.
Wir Potsdamer werden ja nun nicht so dumm sein, in den Schoß der alleinseligmachenden Weltstadt zur ewigen Ruhe einzugehen. Wir denken gar nicht daran, fürchten auch (augenblicklich) nicht diese Gefahr. Berlin hat genug geschluckt und findet selbst bei der preußischen Regierung keine Unterstützung mehr. So hat es bei der Auflösung der Gutsbezirke von seinem großen Wunschzettel nur ein Geschenk erhalten, nämlich Düppel. Aber, wenn wir auch keine Furcht haben – stehen wir doch fest auf eigenen Füßen – so braucht man doch auch nicht den kleinen Finger hinzuhalten.
Kürzlich folgerte eine Zeitung, Potsdam sei zur Eingemeindung reif, weil unsere Heimatstadt – ihre Litfaßsäulen an eine Berliner Firma verpachtet habe, die fast nur Berliner Plakate anschlage. Der Fremde merke also kaum, wenn er durch unsere Straßen geht, daß er in Potsdam sei, er könnte ebenso gut meinen, sich in Berlin zu befinden. Ein durchschlagendes Argument, fürwahr! Mit solchen Mätzchen kann man uns ja allerdings nicht beikommen, aber man erkennt daran, was man herbeiholt, um Potsdam in den Armen Große-Berlins erdrosseln zu können.
Es war gesagt worden: nicht den kleinen Finger hinzuhalten. Und das geschieht unseres Erachtens in unserem Fremdenverkehrswesen. Wir haben eine
Berlin-Potsdamer-Verkehrsgemeinschaft,
deren Propaganda ohne Zweifel wertvoll für uns ist, aber im Grunde unbewußt darauf klarzumachen, daß Potsdam nur ein Anhängsel von Berlin sei. Gewiß, wir freuen uns, wenn recht viele Menschen Potsdam kennen lernen und den Ruhm unserer historischen Stätten verbreiten. Es ist auch Tatsache, daß viele Fremde wirklich nur ein paar Stunden für Potsdam “opfern” können, zwischen Dessert und Abendessen. Aber wir sinken damit auf die Stufe von Versailles herab, daß außer dem Schloß und dem Park wirklich nur wenig bietet. Potsdam ist aber viel mehr, und füllt nicht nur einige Stunden des Programms aus, sondern Tage. Der Potsdamer Verkehrsverein gibt sich gewiß alle Mühe, die Fremden auf irgendeine Weise länger in Potsdam festzuhalten, aber es müßten doch wohl noch andere Wege der Verkehrswerbung eingeschlagen werden. Das soll keine Kritik sein, sondern nur eine Anregung.
Von 100 Fremden, die Potsdam besuchen – Berliner ausgeschlossen – haben 98 keine Ahnung von den Seen und Wäldern unserer Umgebung. Woher sollen sie es wissen? Sie verbinden den Namen Potsdam eben nur mit Sanssouci, und sind darauf hingewiesen worden, daß es in einer Stunde höchstens von Berlin aus zu erreichen ist. Also kommen sie herübergefahren: Bahnhof Potsdam – Sanssouci – Bahnhof Potsdam – zurück nach Berlin. Was hat man doch wohl in Potsdam außer Sanssouci? Andere setzen sich in die Rundfahrtautos. Sie lernen etwas mehr kennen, aber verlassen nach unseren Beobachtungen, allen Abmachungen zuwider, ebenfalls Potsdam auf dem schnellsten Wege.
Es sei nochmals betont: Wir wollen nicht von Sanssouci erdrückt werden und nicht ein Anhängsel Berlins sein. Wir wollen den Ruhm, die Schönheit und Eigenart unserer Stadt in die Welt hinausrufen! Das einzigartige Stadtbild, daß wir oft gegen die Interessen der Nützlichkeit und Zweckdienlichkeit erhalten, und die herrliche Landschaft, in die unserer Potsdam hineingesetzt ist: sie wollen wir ins rechte Licht setzen. Sanssouci wirbt für sich selbst, und daß es bei Potsdam liegt, hat sich ohne unser Zutun seit den Tagen des großen Friedrich inzwischen in aller Welt so langsam herumgesprochen.
Wie kann die Propaganda für Potsdam geschehen? Wir brauchen
Plakate von Künstlerhand
aber nach guten Lichtbildern: mit dem Rathaus, oder dem Kanal, Landschaftsbildern oder irgendwelchen anderen eindrucksvollen, anziehenden oder romantischen und idyllischen Motiven. Diese Plakate müssen auf allen Berliner Bahnhöfen, Fremdenheimen ausgehängt werden, an allen Einfallstoren oder Mittelpunkten des Verkehrs, wie es Hunderte von weniger bedeutenden Orten schon machen. Wenige empfehlende Worte, schlagwortartig, sollten hinweisen auf Potsdam als Standort für Ausflüge, für Kunststudien; Potsdam als Erholungsstätte, als Luftkurort. Jedes murklige Nest in der Mark, das einen See und drei Kiefern hat, nennt sich stolz “Luftkurort” im Poststempel. Hinweisen kann man auf bequeme Promenadenwege und – nun drehen wir mal den Spieß herum – auch auf die Nähe Berlins.
Besser läßt sich das alles noch in einem Prospekt verwirklichen. Buntes Titelbild, vorzüglich große Lichtbilder, kurze nicht veraltende Hinweise (um dauernde Neuauflagen unnötig zu machen), kurz, ein verlockender Prospekt, der in allen Verkehrsbureaus Deutschlands ausliegt. Das alles kostet Geld, viel Geld; und der Verkehrsverein dürfte diese Aufgaben kaum erfüllen können. Dann muß eben die Stadt die Sache in die Hand nehmen.
Das ganze Potsdam soll es sein, nicht bloß Sanssouci. Und nicht – – – “bei Berlin”.
O-o.
Quelle: Potsdamer Tageszeitung vom 21.12.1928