„Mr. Churchill, begleitet von J/Cdr.[1] Mary Churchill, Mr. Attlee und anderen bei der Konferenz anwesenden Personen besuchte Schloss Sanssouci, Potsdam. Bei ihrem Rundgang sahen sie viele interessante Gemälde und Räume.“[2]
Dieser Text findet sich auf der Rückseite eines Fotos, das Captain W. T. Lockeyear[3], offizieller Fotograf des britischen War Office, am 17. Juli 1945 aufgenommen hatte und das Premierminister Winston Churchill auf dem Weg in das Neue Palais zeigt. Das sie über den Theatereingang betraten. Die Innenaufnahmen zeigen die Briten und die sie begleitenden sowjetischen Offiziere in der Marmorgalerie und in der ebenfalls im Erdgeschoss befindlichen Roten Damastkammer des über einen Kilometer von Schloss Sanssouci entfernten historischen Bauwerks. Dass etwas verwechselt wurde, trifft nicht nur hier zu, sondern findet sich auch in anderen Dokumenten der Potsdamer Konferenz (17.7./2.8.1945).
Wer Churchill von sowjetischer Seite begleitete ist nicht bekannt, so wie auch nicht, ob die Erläuterungen von einem deutschen Fachmann, wie z.B. Ernst Gall, Direktor der Staatlichen Schlösserverwaltung. Von sowjetischer Seite könnte Garde-Oberstleutnant Jewgeni F. Ludschuweit, Professor der Kunstgeschichte und Kulturoffizier der Roten Armee sowie zuständig für den Schutz der Parkanlagen von Sanssouci und der darin befindlichen Kunstschätze, zugegen gewesen sein. Möglicherweise übernahm auch Ludschuweit die kulturhistorischen Erklärungen und Gall war nicht zugegen. Aber das ließe sich nur durch eine sorgfältige Auswertung der Fotos herausfinden.
Lediglich die fünf Fotos von Lockeyear sind als Beleg für den Besuch Churchills im Park Sanssouci bislang bekannt. Schriftliche Belege gibt es nicht. Weder er noch seine Tochter berichten in ihren Memoiren darüber. Was die Aufzeichnungen der Personen hergeben, die die Churchills an diesem Tag begleiteten, ist noch zu untersuchen.[4]
Winston Churchill war während der Potsdamer Konferenz nur an diesem 17. Juli, einem Dienstag, im Park Sanssouci. Über den Abend vorher berichtet seine Tochter ihrer Mutter u.a.:
Papa liest die Abendzeitungen und macht Pläne für morgen – die ich sehr skeptisch (still) akzeptiere, da ich mir sicher bin, dass sie am Morgen alle anders sein werden. Papi findet es schade, dass du nicht rauskommst – und meint, es noch einmal zu versuchen![5]
Inwieweit Mary Churchill bei dem Pläne machen auf die am folgenden Tag stattfindende Visite im Park Sanssouci anspielt, ist nicht klar. Aber in allen vor diesem Abend entstandenen Schriftstücken ist kein Hinweis darauf zu finden, dass Churchill langfristig einen Besuch in Sanssouci geplant hatte. Andererseits: Wenn er erst am Abend des 16. Juli auf die Idee kam, heißt das, dass sich die sowjetische Seite großzügig verhalten hat, indem sie ihm Zutritt gewährte und fachkundige Begleitung stellte. Zugleich könnte die sehr kurzfristig erfolgte Entscheidung auch ein Grund dafür sein, dass wir nichts über einen Besuch des britischen Premierministers im Schloss Sanssouci wissen. Die Frage bleibt somit (noch) unbeantwortet:
War Churchill im Schloss Sanssouci oder nicht? Winston Churchill besuchte das Neue Palais vermutlich in der Zeit zwischen 12 und 14 Uhr. Seinen Tag begann der 71jährige damit, wenn keine Frühtermine anlagen, dass er noch im Bett Dokumente durchsah und sich so gegen 9 Uhr zum Aufstehen entschloss. In einem Brief berichtete seine Tochter der Mutter, dass der Vater einmal sogar erst zur Mittagszeit aufstand. US-Präsident Harry S. Truman bestätigt das indirekt in seinen Memoiren. Churchill und Stalin bezeichnet er als Nachtarbeiter, worunter er, wegen der damit verbundenen späten Termine, als Frühaufsteher zu leiden hatte.[6] Morgentoilette und ein geruhsames Frühstück schlossen sich an. Der Arbeitsalltag des Premierministers begann dann somit gegen 10.30 Uhr. Verließ die Fahrzeugkolonne des Premierministers gegen 11 Uhr seine Residenz in Neubabelsberg, Ringstraße 23, stand er mit seinen Leuten zwischen 11.45 Uhr und 12 Uhr vor der Tür des Neuen Palais. Rund 1,5 Stunden könnte die Besichtigung gedauert haben. Danach Rückfahrt und somit noch ausreichend Zeit für eine Teerunde und Entspannung. Spätestens um 16.30 Uhr fuhr die Autokolonne mit Churchill zum Schloss Cecilienhof im Neuen Garten ab, wo um 17 Uhr der erste Beratungstag der Konferenz begann.
Der britische Außenminister Anthony Eden berichtet in seinen Memoiren, dass er Churchill bei seinem Besuch im Park Sanssouci begleitet habe.
17. Juli: Die Zerstörung von Potsdam ist schrecklich und das alles, so wird mir berichtet, bei einem Angriff von fünfzig Minuten. Was für eine Stunde der Hölle muss das gewesen sein. Pünktlich zur Beratung zurück (vom Besuch von Sans Souci).[7]
Unterbrochen wurde Churchills Nachmittag aber noch durch einen Besucher, der ihm eine überraschende Neuigkeit mitbrachte. Henry L. Stimson, US-Kriegsminister[8], berichtet über seine Stippvisite in der Residenz des Premiers:
Als er zur Tür kam, berichtete ich ihm von Harrisons[9] Nachricht [über den erfolgreichen Atombombentest]. Von seinen Leuten hatte er davon nichts erfahren. Er war sehr interessiert und sehr heiter, aber sehr gegen eine Offenlegung [gegenüber den Russen über die A-Bombe]. Wogegen ich mich klar aussprach.[10]
Ungefähr zur gleichen Zeit waren hohe britische Offiziere auf den Spuren Churchills im Park Sanssouci unterwegs. Feldmarschall Alan Brooke haben wir den Bericht darüber zu verdanken:
Nach dem Mittagessen trafen wir um 2.30 Uhr die Amerikaner und hatten eine sehr erfolgreiche Beratung. Wir diskutierten weiter die Frage unserer Beteiligung an dem Angriff auf Japan und entschieden, den Plan im Prinzip zu akzeptieren und einen Korpskommandeur mit Stab als unseren Vertreter für die Diskussion der Pläne mit MacArthur und Nimitz zu benennen. Nach dem Tee fuhren wir[11] nach Potsdam und besichtigten dort (Sans Souci) die alten und neuen Schlösser, sehr interessant. Jedes Mal führte uns ein alter Gästeführer herum und erklärte die verschiedenen Räume, wo Friedrich der Große gestorben war, einschließlich seines Sessels, die Wohnräume des letzten Kaisers, etc. etc.[12]
Churchill hielt sich noch zu verschiedenen Anlässen in Berlin auf. Seine Tochter Mary ebenfalls. Einen weiteren Besuch widmete sie aber den Potsdamer Schlössern. Das war am Sonnabend, den 21. Juli 1945. In einem Brief an ihre Mutter schreibt sie:
Heute, Sonnabend, gab es eine große Siegesparade. Es war ein aufregender und bewegender Anblick. Danach kamen Monty[13] und Alex[14] und Admiral King[15] zum Mittagessen.
Am Nachmittag unternahmen Beatrice[16] und ich eine riesige Besichtigungs-Tour der königlichen Schlösser und Potsdams. Uns begleiteten erneut der gut aussehende und reizende Captain K. und Mr. Morrow[17], unser netter Dolmetscher. Es war sehr angenehm und es gab sehr gute Führer und keine drängenden Menschenmengen – so dass wir viel gesehen haben.[18]
Vermutlich besuchten auch Teilnehmer der US-Delegation den Park Sanssouci und die Potsdamer Schlösser. Truman jedenfalls tat es nicht. Dem sehr ausführlich geführten Protokoll seines Aufenthaltes in Potsdam ist nichts anderes zu entnehmen. Truman war zu verschiedenen Anlässen in Berlin, nahm an einer Truppenparade im hessischen Neu-Isenburg teil, aber Potsdam fand nicht sein Interesse.
Anmerkungen
[1] J/Cdr. = Junior Commander, gleichbedeutend dem militärischen Rang eines Hauptmanns.
Mary Churchill (1922-2014) – ab 1947 verheiratet mit Christopher Soames, die jüngste Tochter Winston Churchills, war während der Potsdamer Konferenz seine Adjutantin (Aide-de-camp, ADC).
https://de.wikipedia.org/wiki/Mary_Soames.
[2] Original:
„MR. CHURCHILL VISITS SANS SOUCI PALACE, POTSDAM.
Mr. Churchill, accompanied by J/Cdr. Mary Churchill, Mr. Attlee and other persons present at the conference visited the Sans Souci Palace, Potsdam. During their tour they saw many interesting paintingsand decorations.“
[3] Captain W. T. Lockeyear war offizieller Fotograf des britischen War Office (Kriegsamt; https://de.wikipedia.org/wiki/War_Office ). Von ihm gefertigte Fotos sind seit 1940 nachgewiesen. Seine Fotos sind in vielen Publikationen zu finden, aber über ihn selbst, ist nichts bekannt.
Während der Potsdamer Konferenz gehörte er, wie auch andere hier eingesetzte Fotografen zur No. 5 Army Film and Photographic Unit. ((https://forum.axishistory.com/viewtopic.php?t=15122)
[4] Auf dem die Besuchergruppe in der Marmorgalerie zeigenden Foto sind 17 Personen zu erkennen, darunter zwei in Uniformen der Roten Armee. Eindeutig ist neben Winston Churchill und seiner Tochter Mary nur noch der Labour-Oppositionsführer Clement Attlee zu sehen. Hinter der Gruppe steht der Churchill direkt zugeteilte Personenschützer von der Royal Navy, Neville Bullock.
[5] Soames, Mary, A daughter`s tale: the Memoir of Winston Churchill´s youngest child, New York 2011, S. 319.
Original:
„Papa is reading the evening papers and making plans for tomorrow – which I am accepting with a good deal of scepticism (silent) as I`m sure they´ll all be changed in the morning. Papi is sorry you will not come out – and means to have another try!“
[6] „Physisch hatte die Konferenz große Anforderungen an mich gestellt. Churchill und Stalin sind Nachtarbeiter, während ich ein Frühaufsteher bin. So waren meine Tage überlang …“ Truman, Harry S.: Memoiren. Bd. 1. Das Jahr der Entscheidungen (1945), Stuttgart 1955, S. 422.
[7] Eden, Anthony: The Eden Memoirs. The Reckoning, London 1965, S. 545.
Original:
„July 17th: Devastation of Potsdam terrible and all this I am told in one raid of fifty minutes. What an hour of hell it must have been.
Back [from visit to SansSouci] just in time for meeting…“
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Henry_L._Stimson.
Stimson war zur Zeit der Potsdamer Konferenz Kriegsminister der USA, später Außenminister.
[9] Harrison = George L. Harrison, Sonderberater des US-Kriegsministers und Vorsitzender des Interimsausschuss für Atomenergie.
[10] HENRY STIMSON’S DIARY AND PAPERS: Part 7, July 4 thru July 20, 1945. July 17, 1945 Diary Entry (http://www.doug-long.com/stimson7.htm.
Original
„As he walked down to the gate I told him of Harrison`s message [about the successful atomic bomb test]. He had not heard from his own people about the matter. He was intensely interested and greatly cheered up, but was strongly inclined against any disclosure [to Russia about the a-bomb]. I argued against this to some length.“
[11] Brooke berichtet über eine Beratung der Combined Chiefs of Staff der USA und Großbritanniens. Neben ihm nahmen von britischer Seite daran teil: Charles Portal, Marschall der Royal Air Force; Andrew Cunningham, Flottenadmiral; Henry Maitland Wilson, Feldmarschall; Hastings Lionel Ismay, General; Gordon Nevil Macready, Generalleutnant; Robert Edward Laycock, Generalleutnant; Leslie Chasemore Hollis, Generalmajor; Arthur-Thomas Cornwall-Jones, Brigadier; Thomas Haddon, Oberstleutnant.
Ob alle an dem Ausflug teilnahmen, ist nicht bekannt. Ebenso auch nicht, ob sich die amerikanischen Generalstabsoffiziere anschlossen. Dazu wäre bei allen Teilnehmern zu prüfen, ob sie Memoiren hinterließen und darin über die Besichtigungstour berichteten.
[12] Brooke, Alan: War Diaries 1939-1945. Edited by Alex Danchev and Daniel Todman, Berkeley 2003, S. 706.
Alan Brooke, Feldmarschall und Chef des Generalstabes der britischen Armee (Chief of the Imperial General Staff, CIGS) sowie Vorsitzender des Komitees der Chefs der Stäbe (Chiefs of Staff Committee).
Original:
„After lunch we met the Americans at 2.30 pm and had a very successful meeting with them. We discussed further the question of our participation in the attack on Japan and decided to accept the plan in principle and to appoint a Corps Commander and Staff as our representative to go out to discuss plans with MacArthur and Nimitz. After tea we drove to Potsdam and visited the old and new castles there (Sans Souci), most interesting. In each case an old retainer took us round and explained what the various rooms were, where Frederick the Great had dies, including his actual chair, the dwellings of the last Kaiser, etc. etc.“
[13] Monty = Generalfeldmarschall Bernard Montgomery. Oberfehlshaber der britischen Besatzungstruppen in Deutschland.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bernard_Montgomery.
[14] Alex = Feldmarschall Harold Alexander (1890-1969), Großbritannien. Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte im Mittelmeerraum.
https://de.wikipedia.org/wiki/Harold_Alexander,_1._Earl_Alexander_of_Tunis.
[15] Admiral King = Flottenadmiral Ernest J. King der US-Kriegsmarine und US Chief of Naval Operations.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ernest_J._King.
[16] Beatrice = Beatrice Eden (1905-1957), Ehefrau des britischen Außenministers Anthony Eden und Freundin von Mary Churchill.
https://en.wikipedia.org/wiki/Beatrice_Beckett.
[17] Morrow war Mitglied der von Arthur Herbert Birse (1889-1981) angeführten Gruppe von britischen Dolmetschern, die während der Potsdamer Konferenz zum Einsatz kam. Birse war Churchills persönlicher Dolmetscher. Morrow, dessen vollständiger Name noch nicht gefunden werden konnte, übersetzte offensichtlich für seine Tochter.
Auch der volle Name von „Captain K.“ ist unbekannt.
[18] Soames, Mary, A daughter`s tale: the Memoir of Winston Churchill´s youngest child, New York 2011, S. 322.
Original:
„Today, Saturday, there was a great victory parade. It was a thrilling, moving sight. Afterwards Monty and Alex and Admiral King came to lunch.
In the afternoon Beatrice and I, again accompanied by that good looking and delightful Captain K. and Mr. Morrow our nice interpreter, set off on a mammoth sightseeing tour of the royal palaces at Potsdam. It was very enjoyable, and there were very good guides and not jostling crowds – so we saw a lot.“
© Dr. Volker Punzel, GeschichtsManufaktur Potsdam (18.02.2020)