Nennen Sie mich Bill!“ So oder ähnlich könnte er sich während seiner Arbeit auf der Potsdamer Konferenz (17.07/02.08.1945)  vorgestellt haben, nachdem die offizielle Begrüßung absolviert war: „William Belknap Jr., Chief Photographer’s Mate, US Navy, abkommandiert als Fotograf zur US-Delegation“.
Ihm war bewusst, worauf es ankam, denn seit 1941 bewegte er sich im Umfeld von Persönlichkeiten, die Anspruch darauf hatten, ihrer Stellung entsprechend behandelt zu werden, zu denen aber auch ein Vertrauensverhältnis herzustellen war. Mit seinen Fotos trug Belknap zu dem Bild bei, das sich die Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten von Amerika von den sie führenden Persönlichkeiten machte. Er dokumentierte Zeitgeschichte, wenigstens zu einem Teil, und war bei einem der weltgeschichtlich bedeutendsten Ereignisse der jüngeren Zeit dabei: der Potsdamer Konferenz.

William Belknap Jr. um 1945.
Belknap (sitzend, rechts) mit Kollegen und sowjetischen Offizieren am Schloss Cecilienhof.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

William „Bill“ Belknap Jr. begleitete 1942 US-Präsident Franklin Delano Roosevelt auf einer Reise durch die USA, und lichtete ihn ab. Er hielt sich vom 06. Juli bis August 1945 an der Seite von Roosevelts Nachfolger Harry S. Truman auf, und hinterließ eine Vielzahl in dieser Zeit angefertigter Fotos. Die Teilnahme an der Potsdamer Konferenz und sein Beitrag zu ihrer fotografischen Dokumentierung spielten aber in den Würdigungen seines Lebens als Fotograf so gut wie keine Rolle.
Er drängte sich auch nicht danach, daran etwas zu ändern. So ist Belknap heute vor allem als Naturfotograf bekannt, der die Naturschönheiten u.a. von Nevada und Arizona einfing, darunter den Grand Canyon, das Colorado Plateau oder die Sonora-Wüste.
Die Northern Arizona University San Francisco (NAU) würdigte ihn 1998 mit einer Ausstellung unter dem Titel „Bill Belknap. Photographer“. In der Bibliothek der University of Nevada, Las Vegas,  (UNLV) befindet sich ein schriftlich dokumentierter  Mitschnitt eines mit ihm am 12. Februar 1979 geführten Gesprächs. R. J. Johnson vom Oral History Project on Early Las Vegas[1] war der Interviewer und kam dabei auch auf Belknaps Leben in der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu sprechen. Begriffe, wie „Berlin“, „Potsdam“ oder „Truman“ sind in dem Interview jedoch nicht zu finden.

William Belknap Jr. verstarb am 22. Dezember 1986 in Boulder City (Nevada) im Alter von 66 Jahren. Seine Frau Frances im September 1988. Den fast 1.300 Dokumente (vor allem Fotografien und Schriftstücke) umfassenden  Nachlass übergaben ihre Kinder Buzz und Loie an die NAU, wo er im Special Collections and Archives Department aufbewahrt wird.
Herausragendes Einzelstück von Belknaps Überlieferung ist sein Tagebuch mit Notizen aus der Zeit vom 6. Juli bis zum 2. August 1945. Es ist eine einzigartige Dokumentation der Tätigkeit eines Fotografen vor und während der Potsdamer Konferenz. In kurzen und knappen Einträgen zeichnet der Amerikaner ein plastisches Bild von den Ereignissen und liefert Hintergrundinformationen zur Entstehung einzelner Bilder. Das handschriftlich angefertigte, nicht immer einfach zu lesende Tagebuch wird aktuell ausgewertet und übersetzt.
Das Ziel ist es, William Belknap Jr., der stets bescheiden blieb und für seine Arbeit als Fotograf lebte, posthum zu würdigen. Stellvertretend für die vielen Männer und Frauen, die im  Schatten der Großen Drei – Churchill, Stalin und Truman – standen und doch so viel für die Potsdamer Konferenz geleistet haben.

Seite aus dem Tagebuch von William Belknap Jr.

William Belknap Jr. wurde am 30. Juni 1920 in Oscawana-on-Hudson (New York) geboren. Seine Eltern ließen sich früh scheiden, so dass der Junge bei der Familie mütterlicherseits aufwuchs. Als er zehn Jahre alt war, nahm ihn seine Mutter mit auf eine Reise zur Halbinsel Yucatan in Mexiko. Umgeben von Überresten der alten Maya-Kultur, fühlte sich der Junge zu seinen ersten Fotos animiert, mit einer Brownie-Box-Kamera[2].Bill beschloss, alles über Fotografie zu lernen, was vor allem auf sein Interesse an Archäologie zurückzuführen war: Er erkannte, dass Archäologen gute Bilder brauchten. Die Mutter, Jane Starke Belknap, unterstützte die Bemühungen ihres Sohnes und als sie nach Hollywood, Kalifornien, zogen, stellte sie ihm eine Dunkelkammer-Einrichtung zur Verfügung, seine erste. Das ergänzte seine Bildung, da Bill die Schule bereits nach der achten Klasse beendet hatte.
1937 zogen die Belknaps nach Boulder City[3]. Die junge Gemeinde in der Wüste von Nevada entstand, um etwa 3.000 Arbeiter unterzubringen, die für den Bau des Boulder Dam[4] (später in Hoover Dam umbenannt) eingesetzt wurden. Jane Belknap interessierte sich für die Grand Canyon-Boulder Dam Tours Inc., dem ersten Unternehmen, das rund um den Stausee, den Lake Mead[5], Touren zu Land, in der Luft und auf dem Wasser anbot. Bill, noch ein Teenager, betrieb die Öffentlichkeitsarbeit für das Unternehmen und fotografierte dafür u.a. den Staudamm, Boulder City, den Lake Mead und den Grand Canyon[6].Es gab eine Fülle von Möglichkeiten in der Region Boulder City. Er verliebte sich in das südwestliche Wüstenland und seine Bewohner. Mit seinem Auto unternahm er ausgedehnte Fahrten zum Grand Canyon sowie in die Siedlungsgebiete der Hopi-Indianer[7], der Havasupai[8] und der Navajo[9]. Mit vielen Menschen, die er auf diesen Reisen kennenlernte, knüpfte Bill lebenslange Freundschaften. Von großer Bedeutung für ihn war der Grand Canyon, in den ihn die dort lebende Frances Spencer einführte. Sie arbeitete an dessen Südrand für die Fred Harvey Company[10] , Betreiber von Hotels, Restaurants und anderen Beherbergungseinrichtungen, im so genannten Hopi House[11]. Der Zweite Weltkrieg und der Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in diesen veränderte auch das Leben von William Belknap.  Seinen Militärdienst leistete er bei der Marine ab, die seine Talente schnell erkannte und ihn entsprechend einsetzte. Er wurde Fotograf im White House, dem Regierungssitz des US-Präsidenten in Washington. In den folgenden Jahren produzierte Bill einige seiner beeindruckendsten Arbeiten: scharfe Schwarz-Weiß-Bilder von Präsidenten, Premierministern, Staatsmännern, Generälen, Königen, Soldaten und Bürgern.Franklin Delano Roosevelt (FDR), „Prexy“ so nannte Belknap den Präsidenten in seinen Notizbüchern, beeinflusste ihn nachhaltig. Die Gelassenheit und Hingabe des Präsidenten, selbst wenn er von körperlichen Schmerzen geplagt wurde, brachte ihm Respekt und die Bewunderung der ihn begleitenden Personen. Bill hielt sich damals, wie andere Fotografen, an seinen Wunsch, ihn erst zu fotografieren, wenn er vollständig vorbereitet war. Während der wenigen Jahre an der Seite von FDR entstanden Hunderte Bilder.  Die geheim gehaltene Tour von „Prexy“ durch militärische Einrichtungen und kriegswichtige Anlagen 1942 hielt er im Bild fest, Treffen mit Molotow und Churchill und das letzte offizielle Familienporträt der Roosevelts vor dem Tod des Familienoberhaupts.

Von Roosevelt wechselte Bill im April 1945 zu dem neuen Präsidenten, Harry S. Truman. Auch auf ihn übertrug er zunächst die Kurzbezeichnung „Prexy“, verwendete später dann aber „Pres“. Belknap begleitete Truman auf dem Schlachtschiff USS „Augusta“ auf der Fahrt über den Atlantik nach Belgien und von dort mit dem Flugzeug nach Neubabelsberg. An Bord des Schiffes entstandene Fotos zeigen den Präsidenten im engen Kontakt mit der Besatzung.
Am 15. Juli landete der Fotograf mit dem US-Präsidenten und seinem Gefolge auf dem Flugplatz Gatow, von wo aus alle in die Residenz Trumans in Neubabelsberg, Kaiserstraße 2, fuhren. Truman und sein Außenminister, James Francis Byrnes[12], waren im ersten Obergeschoss des Hauses untergebracht, Belknap und andere im Haus tätige Bedienstete darüber. Alle Personen, die zum engeren Umfeld des Präsidenten gehörten, darunter auch William Belknap, waren den sowjetischen Behörden schriftlich avisiert worden[13], die den für Sicherheitsfragen Zuständigen dann die unausgefüllten, in russischer Sprache verfassten Passierscheine zukommen ließen. Major Herbert H. Smellie war der Sicherheitsoffizier (Security Officer)[14] der Amerikaner, der die Passierscheine ausfüllen lassen musste und unterschrieb. Bills „Propusk“ (russ. Служе́бный Про́пуск) trug die Nr. 3219 und war am 13. Juli 1945 ausgestellt worden. Bei Kontrollen musste er diese Karte vorweisen und, falls erforderlich, seine „Navy ID Card“.
Die Hauptaufgabe des Fotografen war es, die Potsdamer Konferenz und die Aktivitäten der alliierten Staatsoberhäupter zu dokumentieren sowie umgehend die am besten geeigneten Fotos zur Veröffentlichung in der Presse in die USA zu senden. Dazu hielt er engen Kontakt zu der Funkleitstelle des Präsidenten (Signal Corps Office). Am 3. August 1945 wurde durch das Signal Corps von Neubabelsberg aus erstmals in der Geschichte ein Farbfoto von der Potsdamer Konferenz nach Washington gesendet. Es zeigte Präsident Truman, Premierminister Attlee und Marschall Stalin. Die Funkübertragung umfasste drei Versionen des Fotos, sieben Minuten Übertragungszeit für jedes Bild.[15] Damit alles reibungslos ablief, arbeiteten die Fotografen der drei Länder – USA, Großbritannien, Sowjetunion – eng miteinander zusammen. Und wenn es nur darum ging, sich mit Lampen für das Blitzlicht[16] auszuhelfen. Bei einer dieser Gelegenheiten bekam William Belknap eine sowjetische Kokarde geschenkt. Diese befindet sich in seinem Nachlass.
In der Zeit seines Aufenthalts in Neubabelsberg boten sich ihm auch Gelegenheiten für andere Fotomotive: so für Bilder von dem zerstörten Berlin, die zugleich die Fähigkeit der Menschen zeigen, aus- und durchzuhalten. In Potsdam war er nicht mit der Kamera unterwegs, so dass auch keine Fotos des US-Amerikaners von der Stadt existieren.

Passierschein Belknaps für das Sperrgebiet Neubabelsberg und für das Schloss Cecilienhof.

Während des Krieges gab es wichtige Veränderungen in Bills Privatleben.
Am 23. Dezember 1941 heirateten er und Frances (Fran) Spencer in der Nähe von Washington, DC. Ihre beiden Kinder Buzz (William III) und Loie (Laura) wurden ebenfalls dort geboren. Nach dem Krieg zogen die Belknaps nach Boulder City, Nevada, Bills Heimat. 1947 eröffnete er dort mit Cliff und Gene Segerblom sowie Mark Swain das Photo Information Center/Belknap Photographic Services[17]. Das Geschäft, das bis 1965 bestand, bot eine vollständige Palette an Kameraausrüstung, Filmverarbeitung sowie Werbe- und Porträtfotos. Es war auch die Basis für seine freiberufliche Tätigkeit. Er fotografierte und schrieb Artikel unter anderem für das Magazin „National Geographic“ der National Geographic Society[18], für „Argosy“[19] und für das „Life“ Magazine[20] sowie für Zeitungen in der Region Boulder City. Von 1950 bis 1955 verfasste Bill eine wöchentliche Kolumne mit dem Titel „Boulder Camera“, in der er über Vorgänge in der Stadt berichtete, von seiner Familie sowie seinen verschiedenen Aktivitäten. Er informierte darin auch über Dienstleistungen und Kaufangebote im Photo Information Center. 1969 veröffentlichten Bill und Fran Belknap das gemeinsam verfasste Buch „Gunnar Widforss: Maler des Grand Canyon[21], das seine atemberaubenden Aquarelle zeigt.Bill war schon sehr früh fasziniert von der Kultur der Ureinwohner Amerikas. Seine Fotografien zeugen von dem Respekt und der Bewunderung für diese Menschen. Fred und Alice Kabotie von den Hopi-Indianern und deren Kinder gehörten zu seinen engsten Freunden. Resultat der Freundschaft war das 1977 veröffentlichte Buch „Fred Kabotie: Hopi Indian Artist[22].
Aus den vielen Aktivitäten, die William Belknap Jr. und seine Frau Frances mit ihren Kindern Buzz und Loie entwickelten, ging der Familien-Verlag „Westwater Books“  mit einem breit gefächerten Publikations-Angebot hervor.[23] Ein weiteres Unternehmen der Belknaps waren die „Fastwater Expeditions“, erfolgreich tätig von 1974 bis 1986.

In dem 1979 mit Belknap geführten Interview fragte ihn R. J. Johnson, in welchem Bereich der Fotografie er sich besonders betätigt habe. Seine prompte Antwort: „Lehren“. Er lernte und lehrte sein  Leben lang. William Belknap Jr.`s fotografisches Erbe setzt dies fort.[24]
2014 erwarben Grant und Larry Turner (Vater und Sohn) und ihr Partner Daniel Dombrowski das ehemalige Wohnhaus der Belknaps in der California Avenue 553 in Boulder City. Ihr Anliegen war nicht nur, wie sie im Dezember 2015 der „Boulder City Review“ sagten, das Gebäude zu erhalten, sondern darin auch an William Belknap Jr. zu erinnern.[25]

Anmerkungen

[1] https://www.library.unlv.edu/speccol/ohrc/projects

[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Brownie_(camera)

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Boulder_City

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Hoover_Dam

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Lake_Mead

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Grand-Canyon-Nationalpark

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Hopi

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Havasupai

[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Navajo_(Volk)

[10] https://en.wikipedia.org/wiki/Fred_Harvey_Company

[11] https://en.wikipedia.org/wiki/Hopi_House

[12] https://de.wikipedia.org/wiki/James_F._Byrnes

[13] Vgl.  Foreign Relations of the United States. Diplomatic Papers The Conference of Berlin (The Potsdam Conference) 1945. In two Volumes, Volume I. Washington 1960, Dok. Nr. 115, S. 138.

[14] Seine offizielle Bezeichnung war: Commanding Officer, Guard Detachment, Office of the Joint Chiefs of Staff. Vermutlich gehörte er dem OSS (Office of Strategic Services; deutsch: Amt für strategische Dienste) an, dem Nachrichtendienst des Kriegsministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika.
(https://de.wikipedia.org/wiki/Office_of_Strategic_Services)

[15] Vgl. Thompson, George Raynor/Harris, Dixie R.: United States Army in World War II: The Technical Services. The Signal Corps: The Outcome (Mid 1943-Through 1945), Office of the Chief of Military History United States Army, Washington D.C. 1966, S. 565.

[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Blitzlichtbirne. https://patents.google.com/patent/US1776637.

[17] Vgl. Ferrence, Cheryl: Images of America. Around Boulder City, 2008, S. 23.

[18] https://de.wikipedia.org/wiki/National_Geographic_Society

[19] https://de.wikipedia.org/wiki/Argosy_(Magazin)

[20] https://de.wikipedia.org/wiki/Life_(Magazin)

[21] https://de.qwe.wiki/wiki/Gunnar_Widforss

[22] https://en.wikipedia.org/wiki/Fred_Kabotie

[23] http://www.westwaterbooks.com/

[24] Die Informationen über das Leben von William Belknap Jr. sind zum großen Teil den Texten der 1998 von der Northern Arizona University San Francisco (NAU) über ihn erstellten Ausstellung entnommen.

[25] Hali Bernstein Saylor: Belknap’s home restored; famed photographer’s work accents renovated residence. In: Boulder City Review v. 23. Dezember 2015. (https://bouldercityreview.com/news/belknaps-home-restored-famed-photographers-work-accents-renovated-residence/)

© Dr. Volker Punzel, GeschichtsManufaktur Potsdam (24.02.2020)

Von admin

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